Mittwoch, 8. April 2020

Die Pest in Literatur und Film - Lexikon der Bestattungskultur Band 4

Der vierte Band des Bestattungslexikons ist nach der Zweitkorrektur wieder beim Verlag gelandet. Doch leider kann der Erscheinungstermin aufgrund der augenblicklichen Pandemie noch nicht festgelegt werden. Da ich darin aber den Artikel über die Pest verantwortet habe, erlaube ich mir sozusagen aus gegebenem Anlass diesen Text mit ein paar Links und in leicht gekürzter Form hier vorab zu veröffentlichen zu geben. Vielleicht ist es richtig in diesen Zeiten auch daran zu denken, dass es immer wieder "gute" und "schlechte" Tage für die Menschheit - in diesem Text nur in Bezug auf Europa, heute leider in der ganzen Welt - gab bzw. gibt:

Arnold Böcklin, Die Pest, 1898 (Quelle: Kunstmuseum Basel)
Pest 

Auch wenn die verschiedenen, stark ansteckenden Infektionen, die in kurzer Zeit Menschen in großer Zahl dahinrafften, unterschiedliche biologische Auslöser hatten haben, so werden doch im allgemeinen Sprachgebrauch Seuchen und Epidemien meist unter dem Namen der Pest subsumiert. Schon in der Bibel wird die Pest mehrfach erwähnt, so z. B. im Buch Samuel, wo erzählt wird, dass in Israel 70 000 Mann an der Krankheit starben. Bei den alten Griechen wird die Pest im ersten Gesang der Ilias erwähnt. In Platos Symposium kommt die Priesterin und Seherin Diotima vor, deren Opfer angeblich die Pest in Athen um zehn Jahre hinausschob. Die Krankheit – auch „attische Seuche“ genannt – brach tatsächlich 430 v. Chr. aus und Thukydides, der sie als Kind miterlebte, hat ausführlich darüber berichtet.

Bis in das 8. Jahrhundert hinein wurde Europa etwa alle zwölf Jahre von einer Pestepidemie heimgesucht, wie aus verschiedenen historischen Berichten hervorgeht. Im späten Mittelalter überrollte zwischen 1347–1352 eine große Pestwelle den Kontinent. Vom Ausbruch der Krankheit in Florenz und ihrem verheerenden Verlauf erzählt Giovanni Boccaccio am Beginn seines „Decamerone“ (zwischen 1349 und 1353). Sein Text enthält einen Großteil jener Motive, die auch spätere Pestberichte prägen: die genaue Beschreibung der Krankheitszeichen; den Bericht vom massenhaften Sterben und die Bemühungen, die Toten zu begraben und die Lebenden vor der Ansteckung zu schützen. Besonders die allgemeine Hilflosigkeit und der Verfall der Sitten werden plastisch dargestellt. Obgleich keine unmittelbare Verbindung der Totentanz-Texte zum „Schwarzen Tod“, wie die Pest auch genannt wird, nachweisbar ist, so nimmt man doch an, dass diese eng mit diesem Ausbruch der Epidemie verbunden sind.


Vom 14. bis zum 18. Jahrhundert suchte die Beulenpest Europa immer wieder in Wellen heim. Gleichzeitig wurden regelmäßig bestimmte Personengruppen verdächtigt, die verheerende Krankheit ausgelöst zu haben. Berüchtigt sind die Pestpogrome gegen die Juden, die in den Jahren 1348 bis 1351 in vielen mitteleuropäischen Städten stattfanden und in diversen Chroniken der Zeit verzeichnet sind. Aber auch Hexen wurden bezichtigt. So wird im „Hexenhammer“ (1486) von einer Verstorbenen berichtet, die als Hexe und Wahrsagerin bekannt war und als Nachzehrerin die Seuche in ihrem Ort verursacht haben sollte. Der Reformator Martin Luther ging in seiner Schrift „Ob man vor dem Sterben fliehen möge“ (1527) auf die Frage ein, wie man sich im Falle des massenhaften Sterbens verhalten solle. ...

In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges beklagt Andreas Gryphius in seinem Gedicht „Tränen des Vaterlandes“ (1636): „und wo wir hin nur schaun / Ist Feuer / Pest / und Tod / der Hertz und Geist durchfähret“ und fügt damit die Epidemie in den Rahmen von Krieg und Plünderung ein. Zu erwähnen sind an dieser Stelle die sogenannten „Pestilenztraktate“, also Schriften, die besonders im 17. und 18. Jahrhundert von der Krankheit berichten und als eine Art Ratgeber sowohl für die Obrigkeit wie für die Bürger anzusehen sind. Als Beispiel sei hier der Titel von David Herlitz genannt: „Consilium Politico-Physicum. Das ist / Gründliches Bedencken getreuer Rath / was sich eine Stadt und gemeine Bürgerschafft zur zeit regierender Pest / für Anordnung und Mittel / … gebrauchen ...“ (1621).

Die Pest, die im Jahr 1665 in London herrschte, hat Daniel Defoe ein halbes Jahrhundert später in seinem Roman „Die Pest zu London“ (1722) in Form eines fiktiven Berichts widergespiegelt. Defoes Werk wurde später auch in andere Medien übertragen, wie z. B. in den mexikanischen Film „El Año de la Peste“ (Mexiko 1979) nach dem Drehbuch von Gabriel García Márquez.

1678/79 starben in Wien innerhalb eines Jahres ca. 80.000 Menschen an der Seuche. Zum Dank für das Ende der Epidemie errichtete man am Graben eine Marmorsäule. Möglicherweise entstand aufgrund derselben Epidemie auch das Lied „O du lieber Augustin“; jedenfalls wird diese Verbindung der Pest mit dem ersten Wiener Volkssänger namens Augustin von Moritz Bermann in „Die schönsten Sagen aus Österreich“ (1865) überliefert.
De Arthur Rackham - "Poe's Tales of Mystery and Imagination" (1935) Illustrated by Arthur Rackham, Dominio público, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=22123436  

Im 19. Jahrhundert, als die Pest immer noch an verschiedenen Orten aufflammte, häufen sich die Werke, die sich mit der Krankheit und ihrer geschichtlichen Überlieferung auseinandersetzen. 1816 publiziert John Wilson das Drama „The City of the Plague“, das wie Defoes Roman in London zur Zeit der großen Pest spielt. Später nahm Alexander Puschkin den ersten Akt von Wilsons Werk zum Vorbild für seinen Einakter „Das Fest während der Pest“ (1830), in dem er unterschiedliche Charaktere zu Wort kommen lässt. Als Oper und in jüngster Zeit auch als Orchesterstück wurde Puschkins Werk später vertont (Sergei Prokofjew, 1903 und 1908/9; César Cui, 1900; Arthur Lourié, 1933; Sofia Gubaidulina, 2006). Weitere Werke sind z. B. Alessandro Manzonis Roman „Die Verlobten“ (1825/26), der vor dem Hintergrund der Pest in Mailand zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges spielt; Edgar Allan Poe‘s Kurzgeschichte „König Pest“ (1835) oder der Roman „Rienzi, der letzte der Tribunen“ (1835) von Edward Bulwer-Lytton, auf die weitere literarische und musikalische Werke folgen, die sich im 19. Jahrhundert auf historischer Basis mit der Seuche auseinandersetzten.

Aus dem 20. Jahrhundert ist in der Literatur besonders Albert Camus‘ „Die Pest“ (1947) zu nennen. In diesem Roman hat der Dichter kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die Folgen einer (fiktiven) Pestepidemie für die Bewohner einer algerischen Stadt beschrieben. Die Krankheit steht bei ihm für die physische und moralische Zerstörung der Menschen und wird meist auf den Nationalsozialismus bezogen.

Auch das am Anfang dieses Jahrhunderts neue Medium des Films hat sich relativ früh des Themas angenommen: Nach einem Drehbuch von Fritz Lang entstand der Stummfilm „Die Pest in Florenz“ (Deutschland 1919), an dessen Schluss der Tod tanzend und Geige spielend wie in einem Totentanz durch die Stadt zieht. Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ (Deutschland 1922) spielt vor dem Hintergrund der Pest in einer fiktiven norddeutschen Stadt, hebt aber stärker auf die Gestalt des Vampirs als auf die Seuche ab. In Werner Herzogs Tonfilm-Adaption „Nosferatu – Phantom der Nacht“ (Deutschland 1979) mit Klaus Kinski wird dann die Verbindung zwischen der Pest und ihrer Personifikation im Vampir deutlicher herausgearbeitet. In dem Film „Verwehte Spuren“ (Deutschland 1938) nach einem gleichnamigen Hörspiel geht es dagegen um eine Pesttote, die während der ersten Pariser Weltausstellung im Jahr 1867 starb und deren Tod verheimlicht werden sollte, um keine Panik aufkommen zu lassen. In „Das siebente Siegel“ (Schweden 1957) von Ingmar Bergman steht die Todesangst im Zentrum. Ähnlich wie in Albert Camus Roman steht die Krankheit nicht mehr für sich selbst, sondern bildet ein Symbol der im Menschen verankerten zerstörerischen Kräfte und Ängste.

Gegenwärtig erlebt das Motiv der Pest bzw. der tödlichen Epidemien im Fantasy-, Horror- und Historienfilm seine Wiederauferstehung. ...

Quellen: AT, 2. Buch Samuel 24,15; Hexenhammer, S. 190; Die Chronik des Matthias von Neuenburg, übers. v. G. Grandauer, Leipzig 1899, S. 173, Capitel 115; Luther Sterben.

Literatur: T. Paulsen, C. Schulze, Das Motiv der Pest in der Literatur, in: M. Meier (Hrsg.), Pest.
Die Geschichte eines Menschheitstraumas, Stuttgart 2005, S. 328–358; B. Hoffmann, Die
Pest in der Literatur. Eine Untersuchung von Boccaccio bis Camus. Diss. Lübeck 2006 https://
www.zhb.uni-luebeck.de/epubs/ediss327.pdf (19.07.2019).-