Freitag, 15. April 2011

Mein Buch über Sophie Scholl im Arena-Verlag - Rezensionen und ein Widerspruch

In den letzten Tagen habe ich die Lesung „Sophie Scholl und der Widerstand der Weißen Rose“, die ich in Leipzig vor Schülern halten soll, vorbereitet. Dazu habe ich mir auch die Rezensionen noch einmal vorgenommen. Insgesamt habe ich achtzehn Rezensionen vom Verlag zugeschickt bekommen und ich habe noch ein paar weitere Audio-Besprechungen im Netz gesehen. Fast alle klingen sehr positiv. Als Beispiel sei nur das Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. hier angeführt: „Die Gedankenwelt der Sophie Scholl sowie ihr Engagement im studentischen Widerstand gegen Hitler wird … fundiert aufgerollt, jeweils mit Sachtexten thematisch vertieft und mit historischen Fotos illustriert.“

Komischerweise gibt es zwei Rezensenten, die schreiben, dass mein Buch nur bedingt bzw. sogar gar nicht zu empfehlen ist. Die letztere Aussage kommt von Elmar Broecker, der sein Votum unter alliteratus.com veröffentlicht hat. Bei ihm bin ich mir ziemlich sicher, dass die Kritik aus der rechten Ecke kommt. Er schreibt nämlich am Schluss seiner Besprechung:
„Historisch unhaltbar sind Behauptungen über den Kriegsbeginn im Westen wie ‚Überfall im Westen‘, womit der Angriff auf Frankreich gemeint ist. Die Autorin übersieht geflissentlich, dass Frankreich dem Deutschen Reich bereits den Krieg erklärt hatte, der Angriff war somit völkerrechtlich durchaus korrekt. Auch der ‚Überfall‘ auf Polen war ein Angriff. Nicht weniger schlimm sind Formulierungen wie ‚sie wurden zum Tode verurteilt und ermordet‘ (S. 71; 98): sie wurden nach juristischem Sprachgebrauch hingerichtet(denn nach auch heute geltenden Recht sind solche Rechtsurteile korrekt); weitere mangelhafte Sprachbeherrschung zeigen Formulierungen wie sie bauten sich einen Feindsender‘ (S. 71) oder auf der selben Seite: sie leisteten Sabotage‘; zum einen ist ein Feindsender ein Sender, der im Feindesland steht und dort betrieben wird (die Autorin meinte wohl, sie bauten einen Radioempfänger, um Feindsender zu hören), zum anderen verübt man Sabotage.“

Auch wenn der Autor mit „verübt man Sabotage“ ja nicht ganz Unrecht hat, so ist seine Wortwahl ansonsten ziemlich eindeutig. Darüber hätte ich eigentlich kein weiteres Wort verloren (zum Feindsender übrigens unten noch mehr). Aber da gibt es inzwischen noch zwei einander sehr ähnliche Besprechungen von Thomas Unglaube, einmal auf der Website des Vereins shoa.de und zum zweiten bei „Eselsohr – Fachzeitschrift für Kinder- und Jugendmedien“. Und komischerweise hat Unglaube ähnliche Einwände, wie Elmar Broecker, wiederholt allerdings nicht dessen eindeutige Aussagen zum Sprachgebrauch.

Und da fühle ich mich gekränkt und an meiner Ehre als Historikerin gepackt. Habe ich wirklich so viele Fehler gemacht?? Also habe ich noch einmal nachrecherchiert. Hier die Ergebnisse:

Unglaube schreibt: „Problematisch werden Leisners Ausführungen, wenn sie den biografischen Rahmen verlassen. Ungenaue Formulierungen und fachliche Fehler zeigen sich hier leider immer wieder: So schreibt die Autorin zum Beispiel über die Weimarer Republik, die Deutschen durften „keine Armee mehr unterhalten“ und „die Juden […] spielten im Bankenwesen eine wichtige Rolle“. Oder sie behauptet, als Vorläufer des Reichsarbeitsdienstes der Nazis „gab es bei allen größeren Parteien einen sogenannten ‚Freiwilligen Arbeitsdienst‘“. Auch die Angaben zur Zahl der Konzentrationslager, zum Zeitpunkt des deutschen Angriffs auf Dänemark und Norwegen und zu dem von den Mitgliedern der Weißen Rose benutzten Druckverfahren sind unzutreffend oder unklar formuliert. Gleiches gilt für die Aussagen zum Widerstand des Münchners Walter Klingenbeck. Auch ist zumindest problemtisch, wenn in Zitaten aus historischen Quellen einfach die reformierte Rechtschreibung verwendet wird.
Angesichts der Fehler im historischen Teil und diverser Ungenauigkeiten in Formulierungen kann Leisners Buch leider nur sehr bedingt empfohlen werden.“

Ich habe die Punkte der Reihe nach abgearbeitet:
1. Durften die Deutschen keine Armee mehr unterhalten?
Kurz beim Deutschen Historischen Museum nachgeschaut. Das steht:
„Die Stärke des deutschen Heers schrieb der Versailler Vertrag auf 100.000 Berufssoldaten fest, die Marine durfte 15.000 Mann unterhalten. Schwere Waffen waren der Reichswehr ebenso verboten wie der Besitz von Luftstreitkräften. Auch die zivile Luftfahrt wurde starken Einschränkungen unterworfen. Um die zahlreichen Entwaffnungsbestimmungen zu überprüfen, richteten die Alliierten eine internationale Militärkontrollkommission ein.“

Au weia, tatsächlich falsch! Auf S. 8 hätte es besser geheißen „fast keine Armee“ oder "nur eine Armee in geringfügiger Stärke". Der Rezent hat Recht.

2. Doch schon beim zweiten Zitat: „die Juden […] spielten im Bankenwesen eine wichtige Rolle“ (S. 9), verkürzt Unglaube meinen Text unzulässig. Der Text heißt nämlich: „Dass er <Hitler> die Juden als Urheber des ganzen Unglücks verteufelte, fanden die meisten ganz richtig. Sie spielten im Bankenwesen eine wichtige Rolle und waren somit ein willkommener Sündenbock.“

Ein Beweis für die Richtigkeit meiner Aussage ist z. B. ein Artikel aus der renommierten Wochenzeitung "DIE ZEIT" mit den Worten von Nahum Goldmann, dem ehemaligen Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses. Da heißt es: „Der Höhepunkt jüdischen Einflusses wurde in der Weimarer Republik erreicht — wohl eine der größten Kulturepochen der deutschen Geschichte. Die drei bedeutendsten deutschen Banken — Deutsche Bank, Disconto-Gesellschaft und Dresdner Bank — hatten jüdische Direktoren; die drei größten Tageszeitungen - Berliner Tageblatt, Vossische Zeitung und Frankfurter Zeitung — gehörten Juden und wurden meist von Juden redigiert; die zwei einflußreichsten deutschsprachigen Zeitschriften — Die Fackel und Die Weltbühne — wurden von Juden geleitet; der wichtigste Theaterdirektor dieser Epoche - Max Reinhardt - war Jude."(Nahum Goldmann aus „Die Zeit“, 26.1. / 2.2.1979) Das müsste als Beleg reichen oder?

3. Auf S. 52 schreibe ich: „Schon bevor die Nationalsozialisten die Herrschaft ergriffen, gab es bei allen größeren Parteien einen sogenannten „Freiwilligen Arbeitsdienst“. Damit versuchte man, die vielen arbeitslosen Jugendlichen von der Straße zu holen.“
Damit weise ich - historisch korrekt - darauf hin, dass der Arbeitsdienst keine Erfindung der Nationalsozialisten war. Warum  gefällt das Thomas Unglaube nicht? Sicher wäre anstatt Parteien Jugendorganisationen besser gewesen. Aber auch diese waren mehr oder minder an Parteien gebunden. Ich finde meine Aussage nicht falsch, wenn ich - wieder einmal bei Wikipedia - nachlese: „.. im Laufe der Weltwirtschaftskrise mit weiter steigenden Arbeitslosenzahlen (bis 6 Mio) erließ die Reichsregierung unter Reichskanzler Heinrich Brüning dann 1931 ein Gesetz zur Einführung des freiwilligen Arbeitsdienstes (FAD), das am 3. August 1931 in Kraft trat.“

Weiteres und Genaueres kann man z. B. hier erfahren:
"Ende August 1932 bezogen 280 arbeitslose Sozialdemokraten vom Bremer Jungbanner, der Jugendorganisation des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, zusammen mit Mitgliedern der freien Gewerkschaften, der Arbeiterwohlfahrt und des Arbeitersports das Arbeitsdienstlager in den ehemaligen Auswanderhallen Friedrich Mißler zwischen der Walsroder- und Hemmstraße im Bremer Stadtteil Findorff Quartier, um die bis zum August 1933 befristete Zuschüttung der Senke am Buntentor in Angriff zu nehmen. [2] Ebenfalls unter der Leitung des Reichsbanners wurde Anfang November 1932 auf dem Gelände der chemischen Fabrik Dr. Christ in Holstendorf bei Ahrensbök ein Lager des Freiwilligen Arbeitsdienstes (FAD) für 40 bis 60 SPD-Anhänger im Lübecker Landesteil des Freistaates Oldenburg eröffnet - mit dem Ziel, den Wegebau von Holstendorf nach Havekost zu verbessern. [3] … Als "Träger der Arbeit" fungierten die staatlichen Behörden oder andere Körperschaften des öffentlichen Rechts …. Als "Träger des Dienstes" zeichneten neben dem Reichsbanner Parteien und Organisationen wie die "Reichsarbeitsgemeinschaft für deutsche Ostsiedlung" oder die "Bremer Arbeitsgemeinschaft für Arbeitsdienst und Siedlung" verantwortlich. Gemäß der Verordnung vom Juni 1932 ernannten die Träger "Führer" für die jeweiligen Maßnahmen.

In der Hansestadt Bremen wie im Freistaat Oldenburg gehörten neben Sport- und Turnbünden vor allem die nationalen Verbände zu den Förderern des FAD. Auf besonderes Interesse stießen die Maßnahmen bei der NSDAP, dem Jungdeutschen Orden, Wehrwolf und Stahlhelm. Dagegen lehnten die KPD, die KPO und die 1931 aus der SPD ausgeschlossenen Linkssozialisten der SAP (mit Willy Brandt, Otto Brenner, Anna Siemsen u.a.) den FAD als Mittel der Sozialdisziplinierung ab.“

4. Ich schreibe auf S. 106: „Bis 1945 wurden mehrere Tausend Konzentrations- und Nebenlager sowie sieben Vernichtungslager errichtet“.

Ich gebe zu, das ist fast wörtlich aus Wikipedia übernommen. Aber man kann zum Beispiel auch bei das   offizielle „Verzeichnis der Konzentrationslager und ihrer Außenkommandos gemäß § 42 Abs. 2 BEG“ von 1967 zu Rate ziehen, das insgesamt 1634 Lager aufführt, die damals wegen der Entschädigungsfrage anerkannt wurden. Das war vor 44 Jahren und danach hat es die Forschung zum Nationalsozialismus erst richtig eingesetzt.

5. Ich schreibe S. 43 „Bald war der Blitzkrieg gewonnen und ein Großteil von Polen wurde dem Deutschen Reich einverleibt." Dann folgt ein Satz zu den Einsatzgruppen zur Vernichtung der polnischen Juden und es geht weiter: „Nach seinem Sieg ließ Hitler die deutschen Truppen nach Dänemark und Norwegen vorstoßen.“ Dann folgt wieder eine Erläuterung und dann der Satz: "Im Frühjahr des folgenden Jahres marschierten die Deutschen dann nach Westen ..."

Das ist wirklich etwas ungenau, denn der nationalsozialistische Überfall von Dänemark und Norwegen begann am 9. April 1940 und der Einmarsch im Westen fing in Mai/Juni desselben Jahres an. Meinte der Rezensent diese Ungenauigkeit? Dann hat er recht.

6. Unglaube schreibt leider nicht, was an meiner Beschreibung der Wachsmatrizen und des Vervielfältigungsapparates falsch ist. Ich kann da nichts finden, schließlich erinnere ich mich selbst noch ganz gut an diese Apparate, die in meiner Schulzeit noch überall benutzt wurden.

7. Auch der Widerstand von Walter Klingenbeck soll falsch oder unklar formuliert sein. Damit reiht sich Unglaube bei Elmar Broecker ein, der ja auch den „Feindsender“ bemängelt. Ich schreibe nämlich: „So machte sich 1941 in München eine Widerstandsgruppe um den siebzehnjährigen Walter Klingenbeck bemerkbar. Sie bauten sich einen Feindsender* und malten das Zeichen der Alliierten für den Sieg (V) an Hauswände. Außerdem bereiteten sie Flugblätter vor. Doch die Gruppe wurde verraten. Walter Klingenbeck wurde im September 1942 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und ein Jahr später umgebracht. Zwei weitere Todesurteile wurden in eine Zuchthausstrafe umgewandelt.“

Ich schaue noch einmal im Internet unter Walter Klingenbeck nach und finde die Seite wieder, die ich damals benutzt hatte: http://www.powerforpeace.de/documents/LebensgeschichteWalterKlingenbeck.pdf
Ja, so war es doch: Klingenbeck machte eine Mechanikerlehre bei der Firma Rohde und Schwarz in München und er richtete sich tatsächlich einen eigenen Sender ein, „in dem die abgehörten Meldungen von ausländischen Sendern weiterverbreitet werden sollten. Geplant waren auch Sendungen in französischer und italienischer Sprache. Der Sender sollte ‚Rotterdam‘ heißen“.

Also wenn das in der Nazidiktion kein „Feindsender“ war, dann weiß ich tatsächlich nicht, was das Wort bedeutet.

Den Punkt neue Rechtschreibung in Zitaten lasse ich hier einmal aus. Ich bin zwar sicher, dass ich Zitate normalerweise niemals ändere, aber fehlerfrei bin ich nicht. Und ohne Nachweis habe ich auch keine Lust zeitraubend zu suchen.

Zum Schluss gibt es doch noch etwas zu der Rezension von Broecker zu erwidern, der schreibt: „Ein weiterer Punkt ist ihre apodiktische Behauptung, dass “Homosexualität in der HJ ein Problem war”, wobei sie die Herkunft ihres Wissens nicht offenbart; und wo bleibt die Homosexualität/das Lesbentum im BdM?

Also diese Beweise kann ich nachliefern und auch Broecker hätte sie einfach finden können, wenn er denn gewollt hätte. Er möge z.B. das Buch von Susanne Zur Nieden: Homosexualität und Staatsräson auf S. 260 aufschlagen. Wenn die Homosexualität kein Problem war, warum wurde dann ein Kampf gegen „gleichgeschlechtliche Verfehlungen“ in der HJ geführt und nach dem 30.6.1934 ein interner Sanktionsapparat aufgebaut?

Warum ich übrigens auf die Homosexualität/das Lesbentum im BDM in diesem Zusammenhang eingehen sollte, ist mir ein Rätsel.

Außerdem finde ich, meine Belege reichen jetzt aus, um meine Historikerinnen-Ehre wieder einigermaßen rein zu waschen und auch zu zeigen, dass hier versucht wird, ein Buch schlecht zu machen, dass die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands ehrlich und sachlich jungen Menschen nahe bringen will.